Kalk – chemisches Risiko und Prävention
Kalk
… eine meist pulverförmige weiße Substanz, die in den unterschiedlichsten Wirtschaftsbranchen Verwendung findet.
Aber was genau ist Kalk und warum ist er gefährlich?
Es gibt unterschiedliche Arten von Kalk:
Branntkalk:
Branntkalk oder Calciumoxid ist ein weißes oder gräuliches, körniges Pulver mit der chemischen Formel CaO, das durch die Kalzinierung (thermische Zersetzung bei ca. 900 °C) von Kalkstein (CaCO3) nach folgendem Schema hergestellt wird: CaCO3 Mineral oder Gestein —> CaO Feststoff + CO2 Gas
Branntkalk kann heftig mit starken Säuren und besonders mit Bortrifluorid (BF3) und Flusssäure (HF) reagieren.
Man kann Branntkalk mit Wasser reagieren lassen, um Löschkalk herzustellen.
Die Reaktion sieht dann wie folgt aus: CaO + H2O —> Ca(OH)2 + 1155 kJ kg-1CaO
Bei der Reaktion einer großen Menge von Branntkalk mit Wasser kommt es zu einer starken Hitzeentwicklung (exotherme Reaktion). Infolgedessen kann das Wasser den Siedepunkt erreichen, wodurch möglicherweise Kalkspritzer entstehen, die Verbrennungen und/oder Verätzungen verursachen können. Um die Gefahr einer Gefahrstoffkontamination zu verringern, empfiehlt es sich, den Branntkalk allmählich ins Wasser zu gießen (und nicht umgekehrt) und das Gemisch während des gesamten Vorgangs umzurühren, um eine gleichmäßige Verteilung der Hitze zu gewährleisten.
Löschkalk (oder gelöschter Kalk oder Hydratkalk oder Kalkhydrat):
Löschkalk oder Calciumhydroxyd ist ein weißer oder gräulicher Feststoff mit der chemischen Formel Ca(OH)2, der durch die Reaktion von Branntkalk mit Wasser gewonnen wird. Löschkalk kann sich bei einer Temperatur von 580 °C zu Branntkalk zersetzen.
Löschkalk ist eine starke Base, die in Wasser schwer löslich ist (1,56 g/l bei 20 °C). Die gesättigte Lösung weist einen pH-Wert von 12,4 auf.
Die pH-Skala zur Erinnerung:
- zwischen 0 und 5,5: saurer Bereich
- zwischen 9 und 14: basischer Bereich
- zwischen 5,5 und 9 liegt der sogenannte physiologische pH-Bereich, in dem eine saure oder basische Chemikalie bei Kontakt mit menschlichem Gewebe nicht gefährlich ist.
Andere Arten von Kalk (Kalk mit der Kennzeichnung NHL-Z, künstlicher hydraulischer Kalk HL, Dolomitkalk …)
Verwendung
Branntkalk oder Löschkalk sind Materialien, die in den verschiedensten Industriezweigen häufig verwendet werden. Man findet sie zum Beispiel in folgenden Bereichen:
- Landwirtschaft (Kalkung des Bodens usw.)
- Chemie (Anpassung des pH-Werts usw.)
- Bauwesen (Tünchen, Bodenstabilisierung usw.)
- Wasseraufbereitung (Anpassung des pH-Werts usw.)
- Stahlindustrie (Umwandlung von Eisen, Beseitigung von Unreinheiten usw.)
In der Bauindustrie sind Kalk und Zement Materialien, die traditionell für Maurerarbeiten eingesetzt werden.
Kalk ist ein desinfizierendes Material, das keine Schadstoffe freisetzt. Er kann sowohl im Innen- als auch im Außenbereich verwendet werden und fördert gleichzeitig den Feuchtigkeitsaustausch. Eine Fassade, die mit Kalk verputzt wurde, verfügt über regenabweisende Eigenschaften. Kalk hat außerdem eine hohe Haftzugfestigkeit. Dank der verschiedenen Eigenschaften von Kalk wird er heute zunehmend bei der Herstellung von Zementen und Klebemörteln sowie anderen Anwendungen eingesetzt.
Im Umgang mit Kalk ist es wichtig, die Anweisungen zum Tragen einer persönlichen Schutzausrüstung (PSA) wie Helm, Handschuhe oder auch Schutzmaske zu beachten.
Chemisches Risiko
Im Gegensatz zu einer Verbrennung, bei der es lediglich zu einer Übertragung von Wärme durch Strahlung oder Leitung kommt, werden bei einer Verätzung echte molekulare Reaktionen ausgelöst. Eine Verätzung ist das Ergebnis einer Reaktion zwischen dem Gewebe des Auges, der Haut oder der Schleimhäute und einer als ätzend oder reizend eingestuften Chemikalie. Es findet ein Austausch nach dem Donator-Akzeptor-Prinzip zwischen zwei einfachen Einheiten statt. Dieser Austausch entspricht Reaktionen vom Typ Redoxreaktion, Säure-Base-Reaktion, Chelatbildung, Additions- bzw. Substitutionsreaktion oder Solvatationsreaktion. Im Falle von Kalk handelt es sich um einen Austausch vom Typ Säure-Base-Reaktion.
Die Entwicklung der Verätzung erfolgt in drei Etappen:
- Kontakt des Gewebes mit der Chemikalie
- Diffusion der Chemikalie im Gewebe
- Reaktion zwischen der Chemikalie und den biologischen Zielstrukturen
Die Schwere der Verletzung hängt von der Art der Chemikalie, ihrer Konzentration, ihrer Temperatur, aber vor allem von der Dauer des Kontakts mit der Haut, dem Auge oder den Schleimhäuten ab.
Alle Arten von Kalk sind für den Menschen gefährlich, da sie reizend oder ätzend wirken. Durch seine breite Verwendung und seine chemischen Eigenschaften ist Kalk eine Verbindung, die häufig zu schweren Verätzungen der Augen, der Haut oder der Atemwege führt. Aufgrund seiner unterschiedlichen physikalischen Formen (fest, als Staub oder in einer Lösung gelöst) sind die Arten der Exposition zudem vielfältig.
Einstufung von Branntkalk und Löschkalk in Gefahrenklassen im weltweit harmonisierten System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien „GHS“ (Globally Harmonised System of Classification and Labelling of Chemicals):
- H315: Verursacht Hautreizungen
- H318: Verursacht schwere Augenschäden
- H335: Kann die Atemwege reizen
Wenn der Löschkalk kristallines Siliziumdioxid enthält: - H350: Kann beim Einatmen Krebs erzeugen
Augenkontakt
Ein Kontakt der Augen mit Brannt- oder Löschkalk kann eine Verletzung hervorrufen, die in ihrer Schwere von einer mäßigen Augenreizung bis hin zu einer Verätzung reichen kann, die möglicherweise zur Erblindung (vollständige Sehbehinderung) führt. Die Feuchtigkeit in den Augen begünstigt das Eindringen der Substanz, wenn sie als Pulver vorliegt, und die Entstehung einer Verätzung.
Hautkontakt
Schmerzen können erst Stunden nach der Exposition auftreten, wenn bereits eine größere Verletzung entstanden ist. Dadurch sind sich die Opfer der gefährlichen Exposition nicht immer sofort bewusst. Der Kontakt mit Kalk kann zu Verletzungen führen, die von einer einfachen Trockenheit oder Reizung bis hin zu einer irreversiblen Verätzung reichen, welche eine ärztliche Behandlung erfordert.
Einatmen
Das Einatmen großer Mengen von Kalk kann zu Verätzungen der Nase, des Rachens oder der Lunge führen.
Die Bauindustrie im Fokus
Die starke Alkalität von Kalk in Zement birgt ein wesentliches chemisches Risiko in der Bauindustrie. Zement ist ein ätzendes Produkt mit einem stark basischen pH-Wert (12 bis 13). Obwohl eine kurze Exposition nur geringe Risiken birgt, kann die Exposition gegenüber trockenem oder feuchtem Zement über einen längeren Zeitraum hinweg zu irreversiblen Schäden an den Atemwegen, der Haut und den Augen führen.
Obwohl die Bauindustrie hinsichtlich der Verwendung von Kalk in der EU nur einen Anteil von 12 % darstellt, berichten Rettungsdienste und Verätzungsopfer, dass ein großer Teil der Verätzungen auf Zement zurückzuführen ist. Die Personen, die mit Zement arbeiten, setzen sich dieser Gefahr aufgrund von fehlender geeigneter Schutzausrüstung häufig selbst aus.
Beispiel für eine Hautkontamination
Zwischen dem Stiefel und der Hose ist Kalkstaub in den Stiefel des Arbeiters eingedrungen. Da er dies nicht bemerkt hat, wurde keine Spülung durchgeführt. Nach zwei Tagen trat eine Verätzung auf, wie auf dem Foto zu sehen ist.
Wenn Kalk mit den Augen in Kontakt kommt, ist die betroffene Person sofort beeinträchtigt – entweder durch den Staub oder durch die chemische Reaktion, die Schmerzen verursacht. Wenn Kalk mit der Haut in Berührung kommt, tritt der Schmerz hingegen nicht sofort auf und die betroffene Person beachtet den Vorfall möglicherweise nicht weiter. Es ist jedoch äußerst wichtig, die Chemikalie schnell abzuspülen, da Kalk aufgrund seiner ätzenden oder reizenden Eigenschaften unweigerlich zu einer Verätzung führt. Je länger der Kontakt dauert, desto tiefer und schwerwiegender wird die entstehende Verätzung sein.
Schutzvorkehrungen zur Vermeidung eines Kontakts mit Kalk
Es gibt verschiedene Arten von persönlicher Schutzausrüstung, die an die jeweiligen Risiken angepasst ist, denen Sie bei Ihrer Tätigkeit begegnen (z. B. ein Auffanggurt für Arbeiten in der Höhe, Ohrstöpsel gegen Lärm usw.). Zum Schutz vor Chemikalien gibt es die klassischen Schutzbrillen, Handschuhe, Kittel und Ganzkörperanzüge, aber auch spezielle Ausrüstungen, die für bestimmte Verfahren geeignet sind. Beim Umgang mit Kalk ist das Tragen von Chemikalienschutzhandschuhen notwendig, die der Norm EN ISO374-1:2016 und der PSA-Verordnung 2016/425 entsprechen. Darüber hinaus ist es wichtig, die maximale Tragezeit dieser Handschuhe zu beachten.
Es ist deshalb ratsam, Ihre persönliche Schutzausrüstung auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen, sie zu tragen und richtig anzulegen. Wenn Ihre PSA versagt (z. B. ein Loch im Handschuh oder eine Chemikalie, die unter die Brillengläser oder übers Gesicht läuft), müssen Sie schnell reagieren, um sie abzuspülen und zu verhindern, dass die Chemikalie eindringen und reagieren kann.
Kontakt mit Kalk – was ist zu tun?
- Retten aus akuter Gefahr
- Entkleiden
- Sich dekontaminieren
- Notruf absetzen
- Arzt aufsuchen
Wie dekontaminiert man sich?
Mit der PREVIN®-Lösung kann die Chemikalie, die sich auf dem Gewebe befindet und noch nicht mit dem Gewebe reagiert hat, schnell entfernt werden, um ihre Wirkung zu verhindern oder zu begrenzen. Auf diese Weise werden das Ausmaß und die Schwere der Verätzung reduziert oder eingeschränkt und es kann, falls erforderlich, mit einer ärztlichen Behandlung begonnen werden.
Die PREVIN®-Lösung ist ein Medizinprodukt zur Spülung der Augen und der Haut nach Kontakt mit einer reizenden und/oder ätzenden Chemikalie, das auf gesundem und verletztem Gewebe angewendet werden kann und der Norm EN 15154-3/-4 entspricht. Wenn keine PREVIN®-Lösung vorhanden ist, verwenden Sie Wasser gemäß EN15154-1/-2. Im Gegensatz zur PREVIN®-Lösung hat die passive Spülung mit Wasser keinen Einfluss auf die Chemikalie, die bereits in das Gewebe eingedrungen ist.
Nach der Anwendung einer Erste Hilfe-Spüllösung ist es zwingend erforderlich, ärztlichen Rat einzuholen.
Bei Kontakt mit Flusssäure und Fluoriden im sauren Milieu ist die HEXAFLUORINE®-Lösung anzuwenden.
Achtung!
Augenkontamination mit Kalk?
Die Verwendung einer Dekontaminationslösung auf Phosphatbasis wird nicht empfohlen!
Werden phosphathaltige Pufferlösungen auf einer Augenverletzung angewendet, kann eine Verkalkung der Hornhaut entstehen. Verkalkungen sind Ausfällungen (Bildung eines Feststoffs) in der Hornhaut. Dies führt zu einer Trübung der Hornhaut und damit zum Verlust der Sehkraft. Anschließend kann nur durch einen chirurgischen Eingriff Abhilfe geschaffen werden. Da Kalk Kalzium enthält, ist das Risiko eines solchen Vorfalls stark erhöht.
Die PREVIN®– und HEXAFLUORINE® Lösungen enthalten keine Phosphate und können sicher verwendet werden, unabhängig von der Chemikalie, die mit den Augen in Kontakt gekommen ist.
Quelle:
1: European Lime Association (2020). EuLA 2019-2020 Activity Report: https://www.eula.eu/2019-2020-eula-activity-report/
2: Schrage F., Schareck B., Kompa S., et al. Comparison of emergency eye-wash products in burned porcine eyes (2002) . Graefe’s Arch Clin Exp Ophthalmol 240 :308-313